Alfred Brendel gehört zu den großen Pianisten des 20. Jahrhunderts. 1931 in der damaligen Tschechoslowakei geboren, wuchs er in Zagreb und Graz auf, wo er als Sechsjähriger das Klavierspiel
lernte. Nach dem Krieg studierte er bei Edwin Fischer. Mit seinen Aufnahmen der Beethoven- Sonaten schaffte er den Durchbruch in London, wohin er 1971 zog. Er tourte durch die Welt, hatte aber eine speziell enge Beziehung zu den Wiener Philharmonikern, die ihn als Ehrenmitglied aufnahmen. Und Brendel blieb den zentraleuropäischen Komponisten treu: Haydn, Beethoven, Schubert, Mozart bildeten die Basis seines Repertoires. Bis ins hohe Alter füllte er die Konzertsäle, 2008 feierte er sein Abschlusskonzert in Wien mit den Philharmonikern. Seit seinem Abtritt von der Konzertbühne hält Brendel Vorträge über Musik, er hat Essays und Bücher geschrieben, aber auch Gedichtbände verfasst.
In seinem Studio steht ein Bösendorfer, der ihn an die alte Heimat erinnern, das Wien der 1950er-Jahre. Daneben ein zweiter Konzertflügel, ein Steinway, Symbol für Brendels Weltkarriere als Konzertpianist. Das Arbeitszimmer ist fast zu klein für zwei derart mächtige Instrumente. Der heute 86-jährige Musiker genießt seinen Ruhestand in einem Haus im grünen Villenviertel Hampstead in Nordlondon. An den Wänden hängen dunkle Bilder seiner Lieblingskünstler, der deutschen Maler Max Neumann und Werner Knaupp, daneben eine Ahnenfigur aus Neuguinea. Alfred Brendel bittet in englischer Manier zum Nachmittagstee. Dabei ist er immer Österreicher geblieben. Seinen Pass hat er ebenso behalten wie den präzisen Intellekt und seinen feinen Humor, mit denen er die weltpolitischen Geschehnisse kommentiert.
profil: Sie gaben 2008 Ihr letztes öffentliches Konzert in Wien. Sie fürchteten vor Ihrem Rückzug als Pianist, dass Ihnen das Adrenalin fehlen würde. Ist das eingetreten?
Brendel: In mancher Hinsicht ist mein Leben anstrengendergeworden. Als Pianist hatte ich ein bestimmtes Repertoire pro Jahr. Jetzt ist fast jedes Ereignis etwas Neues. Ich mache neue Programme, lese Gedichte. Ich reise immer noch viel, es kommen Anfragen für Vorträge. Ich überlege mir dann, ob es der Mühe wert ist oder zumindest eine hübsche Reise verspricht. Der Vorteil ist: Man bleibt aktiv. Ich sitze da und beobachte mich. Was funktioniert noch? Was wird schlechter?
profil: Können Sie das einschneidendste Ereignis in
Ihrem britisch-österreichischen Künstlerleben nennen?
Brendel: Die Gründung der Europäischen Union, von der ich hoffe, dass sie nicht auseinanderbröckelt. Ich hatte gehofft, dass mithilfe der EU Großbritannien ein wichtiger Bestandteil Europas wird. Ich bin entsetzt über den Brexit. Das ist nicht mehr das Land, in dem ich mich gern aufhalte. In Österreich wiederum gibt es jetzt die große Gefahr FPÖ.
profil: Wären Sie enttäuscht, wenn diese ausländerfeindliche Partei wieder in die Regierung käme?
Brendel: Stellen Sie sich das einmal vor! Diese Partei wird eine große Rolle spielen. Den Ruck nach rechts außen, der in einigen Ländern gerade vonstatten geht, finde ich äußerst beängstigend. Dabei geht es den Leuten besser denn je! Ein wesentlicher Grund für Wohlstand und relativen Frieden war die Zusammenarbeit von Linksmitte und Rechtsmitte.
profil: Sie beschreiben sich als lebenslangen Skeptiker. Fehlt dieses Sicherheitsventil vielen jungen Leuten heute, die rechtspopulistische Parteien und deren xenophobe Ressentiments wählen?
Brendel: Meine Skepsis hat sicher auch mit den Erinnerungen an den Krieg zu tun, die heute fast allen Menschen fehlen. Ich hab genügend Leute gesehen, die besessen waren von einer Idee und blauäugig in die Ferne geblickt haben. Auf Adolf Hitler zum Beispiel. Das hat mich für mein Leben kuriert von Ideologie und Massenhysterie. Ich bin kein Prophet und kein berufsmäßiger Politiker oder Diplomat, ich hoffe nur, dass der Trend, solche Parteien zu wählen, sich nicht zerstörend auf uns alle auswirkt.
profil: Sie haben immer noch Ihren österreichischen Pass. Fühlen Sie sich nach 46 Jahren in London nicht eher britisch als österreichisch?
Brendel: Weder noch. Ich wurde in Nordmähren geboren, bin in Jugoslawien aufgewachsen und habe eine italienische Großmutter. Ich lebte 20 Jahre in Österreich und zog Anfang der 1970er-Jahre nach London. Ich habe außerdem als Pianist ein Wanderleben geführt. Ich bin sehr dankbar für dieses ambulante Leben, möchte gar nicht verwurzelt sein. Ich misstraue jedem Nationalismus. Am liebsten bin ich zahlender Gast. Ich bin in der Heimatlosigkeit zu Hause.
profil: Wenn die britische Premierministerin Theresa May sagt: „Wer glaubt, er sei ein Weltbürger, der ist in Wahrheit ein Bürger von Nirgendwo“ – fühlen Sie sich dann direkt angesprochen?
Brendel: Der Brexit hat mir in Erinnerung gerufen, dass ich Europäer bin. Ich bin ganz anderer Meinung als Theresa May. Drei meiner vier Kinder sind hier geboren, sie fühlen sich wohl britisch, aber ich habe versucht, Ihnen einzuflößen, dass man sich nicht nationalistisch engagieren sollte.
profil: Können Sie sich vorstellen, dass Sie so wie viele EU-Bürger derzeit, einen Brief des Innenministeriums bekommen, in dem sich der Satz „Please make arrangements to leave the country“ („Bitte packen Sie Ihre Sachen und verlassen Sie das Land“) findet?
Brendel: Mich hat dieser Brief noch nicht erreicht. Nein, ich lebe so lange schon in London, ich zahle ja hier meine Steuern. Ich glaube nicht, dass man mich in meinem Alter hinauswerfen wird. Ich bleibe in Hampstead. Was bleibt mir übrig? Ich habe eine große Bibliothek, kann nicht plötzlich meine Habseligkeiten packen und auswandern. Ich bin froh, wenn ich hier noch meine Bücher finde.
profil: Ist Nordlondon Ihre wahre Heimat?
Brendel: Vor 40 Jahren wohnten wir im Nebenhaus. Dann wurden die Nachbarn alt und zogen aus. Aus Selbstschutz habe ich dieses Haus auch gekauft. Denn wenn eine Familie mit Kindern eingezogen wäre, um hier Rockmusik zu spielen, hätten wir ausziehen müssen. Die Edwardischen Häuser haben dünne Böden, Wände und Plafonds. Nun sind meine Kinder längst erwachsen, haben ihre eigenen Domizile, so ist es viel ruhiger geworden.
profil: Anfang der 1970er-Jahre bestand das Essen in England aus Fish & Chips, und Rhodesien war noch eine britische Kolonie. Was hat Sie an Großbritannien so fasziniert, dass Sie hierhergezogen sind?
Brendel: London war damals schon viel internationaler als Wien. Es gab auch musikalische Gründe, obwohl ich die Wiener Philharmoniker so sehr verehre und das Musikleben in Wien seine großen Vorzüge hat. Seit der Eiserne Vorhang gefallen ist, hat Wien sich verändert. Aber damals war es ziemlich provinziell, und ich wollte in einer lebendigen Großstadt leben. In London gab es außerdem ausgezeichnete Chöre. Das war mein erster musikalischer Eindruck.
profil: Vergessen Sie nicht die Wiener Sängerknaben!
Brendel: Die vergesse ich gerne. In England singen die Leute besser. Das ist ein Zeugnis ihrer Musikalität. Jedes Jahr im Sommer bei den Promenadenkonzerten wird die Neunte Symphonie von Beethoven aufgeführt, da stehen die Leute hinten im Saal und singen auswendig mit, ein riesiger Laienchor. Ausgezeichnet. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht: dass man die Sommermonate hindurch jeden Abend ein Orchesterkonzert hat in einem Saal, der bis zu 8000 Leute fasst. Das Programm hat sich über die Jahre auch noch sehr verbessert und internationalisiert.
profil: Mir kommt immer vor, dass bei diesen Konzerten sehr, sehr viel von Elgar gespielt wird.
Brendel: Das ist bei weitem nicht so schlimm, wie es war! Elgar ist hier immer noch ein Nationalheiliger. Aber natürlich auch die großen Komponisten Henry Purcell oder William Byrd. Unter den lebenden Komponisten ist Harrison Birtwistle für mich – in seiner Generation – einer der wichtigsten der Welt. Später kam Thomas Adès. Oder George Benjamin mit seiner fabelhaften Oper „Written on Skin“, die mit Recht ein Riesenerfolg wurde, obwohl sie ganz kompromisslos ist. Mark-Anthony Turnage, Julian Anderson – hier ist wirklich einiges los.
profil: Sind es nicht lauter weiße Komponisten, die heute reüssieren?
Brendel: Ich wünschte, es gäbe Komponisten aller Hautfarben. Die gute Musik, die hier komponiert wird, hat sich internationalisiert. Doch was mich an England immer noch stört, ist diese Insularität. Sie sitzt vielen Leute im Nacken. Das Imperium, das Großbritannien einmal war, ist längst verschwunden, das spukt nur noch in der Vorstellung der Leute herum.
profil: Die Brexit-Befürworter würden das Empire gerne wieder aufleben lassen.
Brendel: Die ehemaligen Kolonialstaaten haben nicht vergessen, wie es ihnen damals ergangen ist. Die werden bestimmt kein neues Empire wollen. Es ist schlimm, dass nun keiner weiß, wie der Brexit vor sich gehen soll. Es ist ein Armutszeugnis für die Politiker wie für die Wähler. Und bis zu einem gewissen Grad auch ein Makel an der Demokratie. Dass es überhaupt zum Brexit kommen konnte, ist so grotesk. Das ist alles sehr deprimierend.
profil: Sie sind trotz Ihres Umzugs nach London Österreichs Komponisten stets treu geblieben. Speziell Mozart und Schubert.
Brendel: Sie vergessen Haydn! Es gibt ja keine englische Klaviermusik! Erst in jüngerer Zeit schreiben ein paar Komponisten interessante Stücke. Was zwischen Byrd und Birtwistle, also zwischen 1630 und 1960 passierte, finde ich relativ unerheblich, wenn man es mit den besten Komponisten dieser Zeit in Zentraleuropa vergleicht. Erst in den letzten 50 Jahren hat sich hier viel entwickelt. Das bewundernswerteste Orchester hier war für mich die London Sinfonietta, die sich auf neue Musik konzentriert. Jetzt gibt es noch ein anderes, das Aurora, das ist auch ganz fabelhaft.
profil: Sehen Sie in Österreich eine ebenso interessante junge Generation an Komponisten und Musikern?
Brendel: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne sie leider zu wenig. Seit meinem Hörsturz vor fünfeinhalb Jahren hatte ich nicht mehr so großen Antrieb, in Konzerte mit neuerer Musik zu gehen. Natürlich gab es in Europa nach dem Krieg großartige Komponisten. Und in Amerika Elliott Carter. Sie alle sind dem vorangegangen, was hier in Großbritannien jetzt passiert. Ich glaube, die Europäer nehmen nicht immer wahr, was hier musikalisch passiert: ein altes Vorurteil, England stand immer ein bisschen abseits.
profil: Was spielen Sie am Klavier am liebsten?
Brendel: Seit ich auf dem rechten Ohr nichts mehr höre, spiele ich nicht mehr Klavier. Ich höre nicht mehr das, was ich gewohnt war. Alles ist verzerrt, ein ganz anderer Klang. Ich kann die Geige zwar genau hören, aber mit dem Klavier ist es sehr schwierig.
profil: Sie spielen überhaupt nicht mehr?
Brendel: Mein Repertoire ist immer noch in meinem Kopf. Ich spiele nur noch kurze Beispiele, wenn ich Vorträge halte. Das war eine ziemliche Umstellung. Es könnte aber viel schlimmer sein. Noch kann ich Vorträge halten, Streichquartette beraten. Ich kann gewisse Musik hören, wenn nicht zu viel Blech und Pauke dabei ist.
profil: Ein Glück, dass Ihr Sohn Adrian Cellist ist!
Brendel: Ja, ich höre ihn natürlich sehr gern. Mit den Streichinstrumenten geht es ja noch ganz gut.
profil: Sie sind den zentraleuropäischen Komponisten weitgehend treu geblieben.
Brendel: Ja, sie bilden das Zentrum meines Repertoires. Schubert ist sicher einer der mir wichtigsten: ein Mann, der mit 31 starb und ein solch großes Werk hinterlassen hat! Ein Phänomen. An die 1000 Stücke. Und die Qualität, vor allem der letzten sieben Jahre, ist sehr hoch.
profil: Dank Ihrer Aufnahmen sind speziell die drei letzten Schubert-Klaviersonaten sehr bekannt geworden. Anfangs wurden sie kaum gespielt. Woran liegt das?
Brendel: Schubert selbst hat zwar Klavier gespielt – und wahrscheinlich nicht schlecht. Aber er war kein Konzertpianist. Er hat also nicht vorgegeben, wie man seine Sonaten spielen soll. Außerdem komponierte er gleichzeitig mit Beethoven. Schubert war jünger, aber sie lebten beide in Wien, kannten einander kaum und arbeiteten parallel an ihren letzten Werken. Vor allem bei den Klaviersonaten ging es den Leuten immer nur darum, ob Schubert nun Beethoven erreicht habe. Er hat Beethoven aber nicht imitiert, hat seine eigenen Sachen gemacht. Es dauerte lange, bis klar wurde, dass Schubert nicht versucht hat, Beethoven mit den eigenen Waffen zu schlagen. Und es gab Vorurteile, man dachte, Schubert sei formlos, zu lyrisch und zu lang. Das hat sich inzwischen alles gelegt.
profil: Sie haben selbst geschrieben, es komme ja auch darauf an, wie lang man eine Schubert-Sonate spiele.
Brendel: Ja, ich würde hie und da mal eine Wiederholung weglassen. Aber man hat sich nach dem Krieg an große Dimensionen gewöhnt. Zuerst war das Gustav Mahler, dann Schubert, jetzt Anton Bruckner. Ich hätte nie für möglich gehalten – bei aller Liebe zu Bruckner –, dass er jetzt in den meisten Ländern aufgeführt wird und die jungen Dirigenten mit Freude darauf losgehen. Ich dachte immer, es braucht den Wiener Orchesterklang, den großen Musikvereinssaal, die Philharmoniker, um Bruckner schätzen zu können. Es gab dann sogar zeitgenössische Komponisten wie Pierre Boulez, die gerne Bruckner dirigiert haben. Manchmal wird entdeckt, wie großartig individuell ein Komponist war. Für Boulez war es ein Anreiz, in der Musik der Vergangenheit nach Dingen zu suchen, die vorher noch nicht da waren.
profil: Gibt es echte Irrtümer in der Musikgeschichte? Werden Komponisten manchmal hochgejubelt, von denen wenig bleibt? John Cage zum Beispiel?
Brendel: Nein, John Cage würde ich nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen. Er ist für manche zeitgenössischen Komponisten immer noch wichtig. Nehmen Sie das Stück, das nichts als eine Pause ist, die vier Minuten und 33 Sekunden dauert. Man sitzt da und hört in die Pause hinein. „The Silent Piece“ eben. Cage hat vieles in Frage gestellt, von einem Zen-buddhistischen Standpunkt aus gedacht. Er hat den Zufall zum zentralen Faktor bestimmt. Aber nicht überall, es gibt ja auch sehr organisierte Stücke von ihm, die sind dann vielleicht für Instrumente geschrieben, die man so noch nie gehört hat. Präparierte Klaviere zum Beispiel. Ich bin davon überzeugt, dass Wagner recht hatte, als er den jungen Komponisten sagte: “Kinder! Macht Neues!“ Wenn ich zurückblicke auf das ganze Repertoire, das ich gespielt habe, sehe ich, dass jedes Meisterwerk etwas Neues geboten hat. Auch innerhalb des Oeuvres eines Komponisten. Das ist für mich eines der wichtigsten Kriterien.
profil: Es wird oft erwähnt, dass Sie wenig Bach gespielt haben; woran liegt das?
Brendel: Ich habe eine tiefe Liebe zu Bach. Aber ich hörte Edwin Fischer Bach spielen. Er spielte Bach so ausgezeichnet, da dachte ich: Ich kann dem nichts hinzufügen.
profil: Sie haben Bach nicht gespielt, weil Ihr Lehrer zu gut war?
Brendel: Seine Aufnahme des „Wohltemperierten Klaviers“ war einfach wunderbar. Da konnte man nur staunen, dass so etwas an Einfachheit überhaupt möglich ist. Außerdem entwickelte sich, als ich in Wien lebte, das historisierende Musizieren. Man griff immer mehr auf alte Instrumente zurück, und es gab eine Zeit, wo das moderne Klavier als Instrument für Bach verteufelt wurde. Das hat sich inzwischen wieder geändert. Das Klavier ist in seine Rechte gesetzt worden. Wenn man so konsequent mit Bachs Musik verfährt, vergisst man, dass Bach selbst verschiedene Werke auf andere Instrumente verpflanzt hat. Das war in Bachs Zeiten gang und gäbe.
profil: Im Proust’schen Fragebogen haben Sie als Ihren größten Fehler Ihre Abneigung gegen Glenn Gould angegeben.
Brendel: Glenn Gould ist der Pianist, der ich nicht sein wollte. Denn er hatte keinen Respekt vor den Komponisten. Er liebte seinen Vater nicht, im übertragenen Sinne gesprochen. Der Komponist sollte für den Interpreten ein Vater sein, den man liebt. Und Gould hat alles getan, um gegen den Vater anzuspielen. Wenn da ein langes Pianissimo war bei Beethoven und erst am Schluss sein Crescendo, was machte er? Er spielte ein großes Crescendo. Gould war natürlich hochbegabt, hatte sehr sichere Finger. Aber was er mit seiner Begabung gemacht hat, kann ich nicht vertreten.
profil: Ging es Ihnen mit Friedrich Gulda ähnlich? Er hat wie Sie viel Beethoven gespielt, ging dann aber auch sehr spielerisch mit den Vorlagen um.
Brendel: Gulda hat neben Beethoven immer auch Jazz gespielt. Manchmal hat er eben auch am selben Abend nach Beethoven Jazz und eigene Kompositionen intoniert. Das ging aber nicht so gut, er war als Jazzpianist nicht so anerkannt wie als klassischer Interpret. Ich kenne kaum Musiker, die sowohl im klassischen Repertoire als auch im Jazz gleich gut waren. Und ich bin kein Freund des Crossovers. Das sind für mich Verfälschungen.
profil: Sind Sie zufrieden mit sich und Ihrem Werk?
Brendel: Ich war nie zufrieden mit mir selbst. Aber ich war auch nicht krankhaft unzufrieden. Ich habe als Musiker eine gewisse Sicherheit. Aber ein Perfektionist war ich nie.
profil: Ist es besser, nicht Perfektionist zu sein?
Brendel: Nein. Aber es gab Leute, die genial gespielt haben und nicht immer perfekt waren. Das gab es früher eher als heute. Man hört sich zu Hause eine Schallplatte an, da ist alles fehlerfrei, also glauben die Leute, das muss im Konzert auch so sein.
profil: Was geben Sie den jungen Pianisten, die sie fördern, an Weisheit mit? Talent oder Training, was ist wichtiger in der Kunst?
Brendel: Talent ist schon wichtig, aber es muss noch sehr viel dazu kommen. Eine gute Konstitution zum Beispiel. Geduld. Beharrlichkeit. Die Freude an der Arbeit. Die Freude, dem Publikum etwas mitzuteilen. Und ein Schuss Skepsis, damit man sich nicht zu ernst nimmt.