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Ivan Krastev :„Wir haben zu lange nicht erkannt, wie radikal der Wandel ist“

"Die USA und Russland teilen sich den Kuchen auf und Europa schaut durch die Finger"

https://www.falter.at/zeitung/20251202/wir-haben-zu-lange-nicht-erkannt-wie-radikal-der-wandel-ist

Der Star-Politologe im Interview über die neue Normalität, Donald Trump, Wladimir Putin, den Krieg in der Ukraine und eine passiv-aggressive EU zwischen allen Fronten

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Interview, FALTER 49/2025, 02.12.2025

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in Paris bei seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron, sein neuer Chefunterhändler Rustem Umjerow versucht, den amerikanischen Außenminister Marco Rubio in Florida davon zu überzeugen, die Ukraine nicht aufzugeben. Donald Trump hat seinen Mann Steve Witkoff in den Kreml geschickt. Das Schicksal der Ukraine wird derzeit nicht nur an der Front erkämpft, sondern auch verhandelt.

In Moskau kann sich der Machthaber Wladimir Putin zurücklehnen: Russland hat strategisch Vorteile zu verbuchen: militärisch auf dem Schlachtfeld, wo russische Truppen die Bergbaustadt Pokrowsk eingenommen haben sollen. Diplomatisch sowieso, seit mit Donald Trump einer im Weißen Haus sitzt, der Friedensverhandlungen vor allem als Möglichkeit sieht, sich persönlich zu profilieren und wirtschaftlich zu profitieren. Was heißt das für die Ukraine? Für Europa? Für die Welt? Der Falter hat Ivan Krastev zum Gespräch gebeten. Für die großen Linien. Und die wichtigen Details.

Falter: Herr Krastev, man konnte auf einigermaßen obskuren Seiten schon wetten, wann Selenskyj wieder einen Anzug tragen würde. Derzeit steht seine Abwahl bis Ende des Jahres in den Quoten. Was wäre Ihr Einsatz?

Ivan Krastev: Ich habe in meinem Leben noch nie gewettet. Ich bin kein Spieler. Eines ist aber klar: Der jüngste Korruptionsskandal im Energiesektor hat Selenskyj sehr geschwächt. Gleichzeitig sehe ich nicht, dass sich die verschiedenen Gruppen in der Ukraine auf einen Ersatzkandidaten einigen könnten. Putin hat außerdem klargestellt, dass er mit Selenskyj kein Abkommen schließen wird. Er hält ihn für einen illegitimen Präsidenten. Er wird nur mit der Rada, dem ukrainischen Parlament, etwas unterzeichnen.

Selenskyj hat gerade seinen wichtigsten Berater Andrij Jermak verloren, dessen Wohnung von Korruptionsermittlern durchsucht wurde. Jermak leitete bisher die Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Kann ihn Selenskyj einfach durch seinen Sicherheitsberater Rustem Umjerow ersetzen und ohne Jermak weitermachen?

Krastev: Ja, Jermak kann ersetzt werden, weil es klare ukrainische Positionen für die Verhandlungen gibt. Die eigentliche Bedeutung von Andrij Jermak geht für Selenskyj weit über die Verhandlungen hinaus.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz