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Sie prägte das Wort „Mansplaining“:Rebecca Solnits Kampf gegen toxische Männer

"Jede Krise entsteht aus einer Krise des Erzählens"



https://www.falter.at/zeitung/20250603/rebecca-solnits-kampf-gegen-toxische-maenner

Die US-Autorin setzt sich in Büchern und Essays – unter anderem „Männer, die mir die Welt erklären“ – mit feministischen Perspektiven auf Umwelt und Gesellschaft auseinander. Wir haben sie in San Francisco getroffen.


Interview von Tessa Szyszkowitz 


erschienen im FALTER 23/2025, 03.06.2025

Rebecca Solnit will sich bei Kara Walker treffen. Genauer gesagt: vor einer Installation der amerikanischen Künstlerin im San Francisco Museum of Modern Art. „Fortuna and the Immortality Garden (Machine)“ ist eine düstere, kraftvolle Arbeit. Mit antiken Puppen, Vulkanglas und schwarz gekleideten Frauenfiguren geht Kara Walker der Frage nach, wie sich die negativen Energien, die derzeit die Gesellschaft plagen, in etwas Konstruktives verwandeln lassen.

 Als feministische Autorin und Essayistin verfolgt Rebecca Solnit einen ähnlichen Ansatz. Gegen die Ausweitung der Mannosphäre fordert sie Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit. Das macht die 63-jährige Intellektuelle nicht erst, seit Donald Trump das Weiße Haus wiedererobert hat. Sie prägte etwa den Begriff des „Mansplaining“ mit ihrem 2014 erschienenen Essay „Männer, die mir die Welt erklären“. Solnit setzt sich in ihren Werken mit Feminismus, Urbanismus, Migration und grünen Konzepten auseinander. Seit sich die Tech-Milliardäre in ihrer Heimatstadt San Francisco vor dem 47. Präsidenten der USA verneigen, wendet sich Solnit wieder vermehrt dem politischen Aktivismus zu.

In der großzügigen Lobby des Museums an der Westküste macht sie es sich für das Interview mit dem Falter in einem Sitzsack bequem. 

Falter: Frau Solnit, stimmt es, dass für dieses Museum ein ganzer Wohnbezirk San Franciscos abgerissen wurde? 

Rebecca Solnit: Hier standen früher sogenannte SROs – single-room occupancy hotels. Ich habe auch in so einem SRO gewohnt, als ich 1980 hierhergezogen bin. Ein Zimmer, Klo und Bad am Gang. Und eine gemeinsame Küche. Früher konnte man noch von ganz wenig Geld direkt hier im Zentrum von San Francisco leben. Inzwischen sind diese Wohnungen praktisch alle verschwunden. Armut ist in den USA geradezu kriminalisiert worden. Heute pendeln Leute oft über eine Stunde von weit außerhalb zu ihren Jobs in der Stadt. 

Falter: Wollen vielleicht viele aber nicht mehr mit Klo am Gang wohnen? 

Solnit: Stadterneuerung war der Euphemismus für die Zerstörung der Gemeinschaften der Armen. Die Arbeiter, die in den SROs wohnten, arbeiteten in den Werften am Hafen. Viele waren Gewerkschafter, sehr links. Sie haben die großen Kämpfe der 30er-Jahre ausgefochten. Und die größten Konzessionen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne erkämpft. Sie haben in Ihrem 2010 erschienenen Buch „Infinite City“ die Geschichte San Franciscos mit seiner Architektur verwoben – eine Reflexion über das Wesen von Städten. Solnit: Ja, das war in Zusammenarbeit mit diesem Museum hier. Heute ist kaum mehr etwas geblieben, was uns an diese Ära des sozialen Wohnbaus erinnert. Es gibt noch das Russell-Haus von Erich Mendelsohn, aber sonst fast nichts. 

Falter: Mendelsohn war ein bedeutender expressionistischer Architekt aus Deutschland, 1945 kam er nach San Francisco. Hat die Stadt inzwischen die Kraft für innovativen sozialen Wohnbau verloren? Es gibt in manchen Vierteln auffällig viele Obdachlose. 

Solnit: Die Rechten verbreiten gern das Gerücht, dass die linksliberale Regierung Kaliforniens total versagt habe und die Stadt so gewalttätig und gefährlich sei. Ich frage mich, wer diese jungen Männer eigentlich sind, die Angst haben, in San Francisco auf die Straße zu gehen? Ich dagegen, eine schmalschultrige, weiße Frau in ihren 60ern, habe mich noch nie gefürchtet. Hinter diesem Argument steckt ein Ziel: Wenn Chaos herrscht, braucht man autoritäre Herrscher, die alles wieder unter Kontrolle bringen. Dann können sie leichter nach noch mehr Überwachung, mehr Polizei rufen. Meinen Sie mit den jungen Männern die Vertreter des Silicon Valley? Solnit: Die Tech-Community hat dazu beigetragen, dass die Leute sich immer weniger wohlfühlen, wenn sie direkt mit jemandem in Kontakt kommen. Schauen Sie sich einmal um. Hier im Museum sind drei Leute, alle starren auf ihre Telefone. Nein, vier. Das ist alles ein Teil von dem, was ich „The Great Withdrawal“ – den großen Rückzug – nenne.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz