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Solo für eine Revolutionärin

Solo für eine Revolutionärin

https://www.tagesspiegel.de/kultur/solo-fur-eine-revolutionarin-marina-abramovic-in-london-10517437.html



Marina Abramović in London 

Marina Abramović, Kultfigur der Performance Art, erhält als erste Frau in der Geschichte der Royal Academy of Arts in London eine Soloshow 

Von Dr. Tessa Szyszkowitz 

23.09.2023, 13:49 Uhr 

Am Saaleingang stehen zwei nackte Menschen, einander zugewandt, dazwischen etwa 40 Zentimeter Platz. Durchquetschen oder nicht, das ist hier die Frage. Und wenn ja, wie? Eine junge Frau geht frontal durch, sie streift die nackten Körper. Andere drehen sich dezent zur Seite, um keine vorstehenden Körperteile zu berühren. Um empfindliche Besucherinnen und Besucher nicht zu überfordern, wurde ein Seiteneingang eingerichtet: Wer will, kann sich Marina Abramovićs Kunst also auch entziehen. 

Leicht ist das nicht. Marina Abramović rückt ihrem Publikum gerne auf die Pelle. Mit ihren aktivistischen Installationen, in denen sie die Grenzen von Körper und Geist immer wieder verschiebt, ist sie weltberühmt geworden. Die eingangs erwähnte Körperskulptur „Imponderabilia“ hat Abramović 1977 erstmals aufgeführt, gemeinsam mit ihrem damaligen Partner, dem deutschen Künstler Ulay. Die aus Belgrad stammende Künstlerin lebt seit Jahren in New York. Jetzt ehrt die Londoner Royal Academy of Arts die 76-Jährige mit einer Soloshow. Als erste Frau in der Geschichte der Akademie. 

Eine Retrospektive ihrer Kunst ist gar nicht so leicht zu verwirklichen. Sicher, es gibt Videos und Fotos von ihren frühen Live-Performances. „Rhythm O“ aus dem Jahr 1974 war eine solche Aktion im Studio Morra in Neapel. Abramović präsentierte sich selbst als Kunstobjekt. Acht Stunden lang stand sie damals bewegungslos, vor sich 72 Objekte, die Schmerz und Genuss auslösten, und die an ihr ausprobiert werden sollten. So geschah es auch: Erst zögerten die Leute, dann fütterte sie jemand mit Kuchen. Dann aber rissen ihr Besucher die Kleider vom Leib, hielten ihr den Revolver an den Kopf. Besucherinnen rannten im Schock aus der Galerie, der Künstlerin selbst ergrauten die Haare. 

Die Retrospektive in London bietet nun einen Tisch mit den Objekten – Peitsche inklusive. Und Videos und Fotos von „Rhythm O“. Anders als „Imponderabilia“ aber, das in der Royal Academy nachgestellt wird, verzichtete man auf eine Neuinszenierung von „Rhythm O“. 

Denn kann die Wirkung von damals ein knappes halbes Jahrhundert später noch reproduziert werden? Und will man das überhaupt? 


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Die Ausstellung Marina Abramovic in der Royal Academy of Arts in London, bis 1. Januar 2024. Mehr Informationen unter www.royalacademy.org.uk

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz