„Fremdheit beginnt oft in unmittelbarer Nähe“
https://www.falter.at/zeitung/20230228/fremdheit-beginnt-oft-in-unmittelbarer-naehe
Die deutsche Autorin Elisabeth Wellershaus wird häufig von Verlagen im Bereich „sensibles Lektorat“ eingesetzt, um auf inklusives Schreiben zu achten. Dabei geht es um viel mehr als Satzzeichen.
TESSA SZYSZKOWITZ MEDIEN, FALTER 09/23 VOM 28.02.2023
Manchmal passiert es ihr, dass sie sich mit jemandem zum Interview verabredet und die Person beim Treffen an ihr vorbeischaut. Einfach, weil sie nicht erwartet, dass die deutsche Journalistin und Autorin Elisabeth Wellershaus eine schwarze Frau ist. Sie wuchs bei ihrer Mutter im bürgerlichen Bezirk Hamburg-Volksdorf auf. Ihr Vater stammt aus Äquatorialguinea in Zentralafrika und lebt seit den 60er-Jahren in Spanien. Die Familie verbrachte die Sommer gemeinsam an der Costa del Sol.
Fremdheit ist deshalb ein Phänomen, das Elisabeth Wellershaus seit ihrer frühesten Kindheit kennt. Und zwar aus den Zuschreibungen anderer. Das ist nur eine der vielen Besonderheiten, die ihre komplexe Identität mit sich bringt. Wellershaus, die soeben ihr Buch „Wo die Fremde beginnt“ publiziert hat, wird sehr gerne als Lektorin für „sensibles Lektorat“ angefragt. Sie legt auf gendergerechtes, inklusives und politisch bewusstes Schreiben Wert. Das Interview mit ihr erscheint deshalb hier auch in einer für den Falter unüblichen Schreibweise. Mit einem kleinen Glossar.
Falter: Frau Wellershaus, Sie haben durch Ihre persönliche Biografie und Ihre Identität mit einem schwarzen Vater und einer weißen Mutter als Journalistin und Autorin manche Fragen zu diverser Identität früher gestellt als andere. Sehen Sie sich in einer Vorreiterrolle?
Elisabeth Wellershaus: Die Auseinandersetzung mit Schwarzer deutscher Geschichte, die ich in Ansätzen im Buch aufgreife, fand bereits statt, als ich vor über 20 Jahren in Berlin angekommen bin. Insofern habe ich keine Vorreiterrolle, das haben andere übernommen. Das Buch „Farbe bekennen“ etwa gehört heute zu den Klassikern afrodeutscher Sachliteratur. Die Herausgeberinnen Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz haben mein Schreiben ebenso geprägt wie gegenwärtige Autor:innen, die sich mit diversen Gesellschaften beschäftigen. Ich versuche in meinem Buch, einfach nur weiterzudenken.
Falter: Ihr Buch heißt „Wo die Fremde beginnt“. Wo beginnt sie denn?
Wellershaus: In meiner Erfahrung findet Fremdheit auf unterschiedlichsten Ebenen statt, und sie beginnt oft in unmittelbarer Nähe. Vielleicht habe ich deshalb versucht, gegen einen eher eindimensionalen Fremdheitsbegriff anzuschreiben, bei dem immer ganz bestimmte Narrative und bestimmte Bilder bemüht werden. Ich habe mich gefragt: Wo beginnt Fremdheit für mich persönlich? Wo beginnt sie aus unmittelbarer Perspektive: in Beziehungen, in der Familie, in Nachbarschaften, in Arbeitsverhältnissen – dort, wo sie uns alle betrifft. Es ging mir beim Schreiben nicht vordergründig um eine Schwarze Perspektive. Ich wollte eine Gesellschaft erkunden, in der höchst komplexe Identitäten nebeneinander leben und wo Erfahrungen von Verbundenheit und Fremdheit sich ständig abwechseln. Um als Gesellschaft von dieser Flexibilität zu profitieren, müssten wir die Existenz von fragiler komplexer Identität allerdings erstmal akzeptieren.
Falter: Sie nähern sich dem Thema in einer sehr persönlichen Auseinandersetzung. Warum?
Wellershaus: Weil ich glaube, dass sich Fragen nach Kollektivzugehörigkeiten unter anderem über Erzählungen klären lassen, in denen Perspektiven durchscheinen, die bislang selten gehört wurden. ...
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Die deutsche Autorin Elisabeth Wellershaus wird häufig von Verlagen im Bereich „sensibles Lektorat“ eingesetzt, um auf inklusives Schreiben zu achten. Dabei geht es um viel mehr als Satzzeichen.
TESSA SZYSZKOWITZ MEDIEN, FALTER 09/23 VOM 28.02.2023
Manchmal passiert es ihr, dass sie sich mit jemandem zum Interview verabredet und die Person beim Treffen an ihr vorbeischaut. Einfach, weil sie nicht erwartet, dass die deutsche Journalistin und Autorin Elisabeth Wellershaus eine schwarze Frau ist. Sie wuchs bei ihrer Mutter im bürgerlichen Bezirk Hamburg-Volksdorf auf. Ihr Vater stammt aus Äquatorialguinea in Zentralafrika und lebt seit den 60er-Jahren in Spanien. Die Familie verbrachte die Sommer gemeinsam an der Costa del Sol.
Fremdheit ist deshalb ein Phänomen, das Elisabeth Wellershaus seit ihrer frühesten Kindheit kennt. Und zwar aus den Zuschreibungen anderer. Das ist nur eine der vielen Besonderheiten, die ihre komplexe Identität mit sich bringt. Wellershaus, die soeben ihr Buch „Wo die Fremde beginnt“ publiziert hat, wird sehr gerne als Lektorin für „sensibles Lektorat“ angefragt. Sie legt auf gendergerechtes, inklusives und politisch bewusstes Schreiben Wert. Das Interview mit ihr erscheint deshalb hier auch in einer für den Falter unüblichen Schreibweise. Mit einem kleinen Glossar.
Falter: Frau Wellershaus, Sie haben durch Ihre persönliche Biografie und Ihre Identität mit einem schwarzen Vater und einer weißen Mutter als Journalistin und Autorin manche Fragen zu diverser Identität früher gestellt als andere. Sehen Sie sich in einer Vorreiterrolle?
Elisabeth Wellershaus: Die Auseinandersetzung mit Schwarzer deutscher Geschichte, die ich in Ansätzen im Buch aufgreife, fand bereits statt, als ich vor über 20 Jahren in Berlin angekommen bin. Insofern habe ich keine Vorreiterrolle, das haben andere übernommen. Das Buch „Farbe bekennen“ etwa gehört heute zu den Klassikern afrodeutscher Sachliteratur. Die Herausgeberinnen Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz haben mein Schreiben ebenso geprägt wie gegenwärtige Autor:innen, die sich mit diversen Gesellschaften beschäftigen. Ich versuche in meinem Buch, einfach nur weiterzudenken.
Falter: Ihr Buch heißt „Wo die Fremde beginnt“. Wo beginnt sie denn?
Wellershaus: In meiner Erfahrung findet Fremdheit auf unterschiedlichsten Ebenen statt, und sie beginnt oft in unmittelbarer Nähe. Vielleicht habe ich deshalb versucht, gegen einen eher eindimensionalen Fremdheitsbegriff anzuschreiben, bei dem immer ganz bestimmte Narrative und bestimmte Bilder bemüht werden. Ich habe mich gefragt: Wo beginnt Fremdheit für mich persönlich? Wo beginnt sie aus unmittelbarer Perspektive: in Beziehungen, in der Familie, in Nachbarschaften, in Arbeitsverhältnissen – dort, wo sie uns alle betrifft. Es ging mir beim Schreiben nicht vordergründig um eine Schwarze Perspektive. Ich wollte eine Gesellschaft erkunden, in der höchst komplexe Identitäten nebeneinander leben und wo Erfahrungen von Verbundenheit und Fremdheit sich ständig abwechseln. Um als Gesellschaft von dieser Flexibilität zu profitieren, müssten wir die Existenz von fragiler komplexer Identität allerdings erstmal akzeptieren.
Falter: Sie nähern sich dem Thema in einer sehr persönlichen Auseinandersetzung. Warum?
Wellershaus: Weil ich glaube, dass sich Fragen nach Kollektivzugehörigkeiten unter anderem über Erzählungen klären lassen, in denen Perspektiven durchscheinen, die bislang selten gehört wurden. ...
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