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„Der Spindoktor war bloß ein Instrument“

„Der Spindoktor war bloß ein Instrument“

https://www.falter.at/zeitung/20230221/der-spindoktor-war-bloss-ein-instrument

Einst war er Berater bei Matteo Renzi, heute macht Giuliano da Empoli als Romanautor Furore. Mit „Der Magier im Kreml“ porträtiert er einen der berüchtigtsten Spindoktoren: Putin-Berater Wladislaw Surkow.


Wladislaw Surkow erfand für den russischen Präsidenten Waldimir Putin Anfang des Jahrtausends die „souveräne“ Demokratie. Die demokratischen Institutionen – freie Medien, unabhängige Gerichte, das Parlament – wurden auf Kremllinie gebracht. Inzwischen hat sich der autoritäre Staat in eine aggressive Diktatur verwandelt. Putin hat seinen Chefberater Surkow Anfang 2020 gefeuert, der Magier wurde von seinem Zauberlehrling aus dem Machtzentrum vertrieben.

Auch in Giuliano da Empolis Roman „Der Magier im Kreml“ sitzt der Protagonist nicht mehr im Kreml, als die Erzählung einsetzt. In einer langen Nacht am Kamin erzählt die Romanfigur Wadim Baranow, die sich eng an Wladislaw Surkow anlehnt, wie er ein Bild des russischen Präsidenten über, in und jenseits der Medien schuf, das am Ende aus der Realität nicht mehr wegzudenken war. Da Empolis Erstlingswerk wurde im Sommer 2022 ein literarischer Überraschungserfolg in Frankreich. Frédéric Beigbeder bezeichnete ihn als „den besten ersten Roman, den ich seit Jonathan Littells ,Die Wohlgesinnten‘ gelesen habe“. „Ein atemberaubender Bericht über das mentale System und die Kriegslogik von Wladimir Putin“, stand darüber in der Libération: „Eine Erzählung von großer literarischer und historischer Kraft, die man unbedingt lesen muss, wenn man verstehen will, was von hier aus unverständlich erscheint.“

Mit 400.000 verkauften Exemplaren in Frankeich startet das Buch jetzt seine Reise in andere Sprachräume – am 16.2. erschien es auf Deutsch bei Ch.Beck. Demnächst kommen die Übersetzungen von Südkorea bis Amerika heraus. Es wird sich zeigen, ob der Magier nicht nur die Franzosen verzaubern kann, die – zumindest dem Klischee nach – die Literatur über alles stellen. Denn Da Empoli, gebürtiger Schweizer und frankophoner Italiener, mixt aus Fakten und Fiktion einen berauschenden Cocktail, dessen Genuss Begeisterung, aber auch Unwohlsein auslösen kann. 

Jene, die ihren echten Namen führen, behalten ihren Lebenslauf, Nebenfiguren mit fiktiven Namen hat sich Da Empoli dagegen zusammenphantasiert. Die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ist nicht eindeutig. In Moskau galt Putins Spindoktor immer als künstlerisch begabter, genialischer Mensch, der sich gerne unter die Intellektuellen mischte. Eine gewisse Nähe entsteht auch in Da Empolis Roman zu seiner Hauptfigur. Ist das angesichts der furchtbaren Konsequenzen, die das Tun des echten Surkows hatte, eine gute Idee? Da Empoli beweist jedenfalls, dass er sich als Literat ein Kerntalent des Spindoktors erhalten hat: ein glaubhaftes Narrativ zu erschaffen. 

Falter: Darf man Putins Rasputin mit so viel Verständnis beschreiben? 

Da Empoli: Ich wollte keine Karikatur eines Mannes schaffen. Es wäre einfach gewesen, einen bösen Menschen zu beschreiben. Baranow ist ein Zyniker, der viele schlimme Dinge tut, der einen autoritären, ja totalitären, gewalttätigen Machthaber aufbaut, der aber auch seine eigenen Widersprüche in sich trägt. Er muss damit fertig werden, dass er sich selbst für einen cleveren Manipulator gehalten hat, und am Schluss stellt sich heraus: Der Spindoktor war bloß ein Instrument. Das fand ich interessanter. Und vielleicht auch realistischer. 

Falter: Sie waren selbst Berater bei Matteo Renzi, konnten Sie sich deshalb so gut in die Rolle des Spindoktors einfühlen? 

Da Empoli: Ich war unter Matteo Renzi in Florenz stellvertretender Kulturminister. Dann, als er Ministerpräsident wurde, habe ich tatsächlich als sein Berater gearbeitet, vielleicht nicht direkt als Spindoktor, ich war nicht auf Medien spezialisiert. Ich denke eher, meine Biografie sollte vor allem eines deutlich machen: Es besteht nicht die Gefahr, dass ich mit Putins Regime sympathisiere. Ich habe versucht, eine komplexe Figur zu schaffen. 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz