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Sascha sagte immer: "Wir fahren auf keinen Fall nach Wien"

Sascha sagte immer:
"Wir fahren auf keinen Fall nach Wien"

https://www.falter.at/zeitung/20221130/sascha-sagte-immer--wir-fahren-auf-keinen-fall-nach-wien/_814740961a

Auf dem Weg zum Friedhof bleibt Marina Litwinenko am Boris-Nemtsow-Platz stehen. Dass dem 2013 in Sichtweite des Kreml in Moskau erschossenen, russischen Oppositionellen Nemtsow in diesem Herbst ein Platz in London gewidmet wurde, freut die 60-jährige Exilrussin ganz besonders. “Es zeigt, wie sehr sich die britisch-russischen Beziehungen verändert haben”, sagt sie. Heute werden in Großbritannien nicht mehr Putin-Freunde wie Roman Abramowitsch umworben. Es werden die Putin-Feinde geehrt. 

Das kann Marina Litwinenko persönlich bezeugen. “Ich selbst bin immer gut behandelt worden”, sagt sie in ihrem vorsichtigen Englisch, in dem der russische Akzent und Satzbau auch nach 22 Jahren in London noch stark vertreten sind, “aber es hat sehr lange gedauert, bis die Geschichte meines Mannes richtig eingeordnet wurde”. 

Die Witwe Litwinenko hat dafür gekämpft, dass das Schicksal ihres Mannes nicht vergessen wird. Der ehemalige FSB-Offizier war 2006 in einem Londoner Spital an einer tödlichen Dosis des radioaktiven Gifts Polonium-210 gestorben. Die Bilder gingen damals um die Welt. Doch obwohl in einer polizeilichen Untersuchung festgestellt worden war, dass er von zwei ehemaligen Kollegen aus dem russischen Geheimdienst vergiftet worden war, gab es keine politischen Konsequenzen. 

Sechzehn Jahre später ist klar, dass Alexander Litwinenko nur einer von vielen war, der dank seiner Kritik am russischen Präsidenten sein Leben verloren hat. “Irgendwann wurde mir bewusst, dass mein Schicksal sich multiplizierte“, sagt Marina Litwinenko: „Putin hat inzwischen so viele Menschen ermorden lassen.” 

Knapp vor dem Todestag ihres Mannes pflanzt sie jedes Jahr neue Blumen auf sein Grab. Er liegt am Friedhof in Highgate begraben, um die Ecke von Karl Marx. Bevor sie loszieht, erzählt sie dem Falter noch einmal ihre Geschichte. 

Ihr Mann Alexander Litwinenko arbeitete in den 90er Jahren im russischen Geheimdienst, der nach dem Ende der Sowjetunion von KGB in FSB umbenannt worden war. So traf er auch Vladimir Putin, der 1998 zum FSB-Chef aufgestiegen war. Litwinenko war kein Spion, er war im Dienst für die Aufklärung von organisierter Kriminalität zuständig. Um Geld zu verdienen, war er nebenbei auch als Bodyguard im Einsatz. Das brachte ihn 1994 mit Boris Beresowski in Kontakt. Der russische Oligarch, im Autogeschäft reich geworden, war ein höchst einflussreicher Strippenzieher im Kreml, der den wichtigsten Fernsehsender Russlands kontrollierte. Er stand hinter der Wiederwahl von Boris Jelzin 1996 zum Präsidenten. Als dieser dem Alkohol verfallen war, sah sich Beresowski nach einem Nachfolger um. Sein Auge fiel auf Vladimir Putin. 

In Russland kämpften in den 90er Jahren demokratische Politiker, Oligarchen und Geheimdienstmänner um die Macht. Streckenweise gemeinsam, teilweise gegeneinander. Litwinenko war ein Bauer in diesem Spiel....

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© 2018 Tessa Szyszkowitz