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Sandwiche und Salatköpfe

Sandwiche und Salatköpfe

https://www.falter.at/zeitung/20221026/sandwiches-und-salatkoepfe/_a96276a9b5

 Korruption und Machtmissbrauch sind keine Eigenheiten der englischen Populisten. Dort aber lassen sich die Folgen gerade fußfrei miterleben 

TESSA SZYSZKOWITZ FALTER & MEINUNG, FALTER 43/22

In der neuen Sky-Fernsehserie "This England" steht Kenneth Branagh am Ende als Boris Johnson am Fenster seiner Wohnung in der Downing Street und zitiert, wie so oft, Shakespeare: 
"England ist nun von Schmach umklammert, 
von Tintenkleksen auf den Schuldscheinfetzen. 
England, gewohnt, die andren zu besiegen, 
hat sich zu seiner Schande selbst besiegt." 

Die Fernsehfigur ist einsichtiger als das Original. Boris Johnson hat vollkommen ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, schon nach sieben Wochen in den britischen Regierungssitz zurückzukehren. „Es gibt eine gute Chance, dass ich bei den Parteimitgliedern erfolgreich wäre und am Freitag nach Downing Street zurückkehren könnte“, schrieb er am späten Sonntagabend in einer Mitteilung. Er sei aber zu Einsicht gekommen, dass jetzt der falsche Zeitpunkt wäre, er trete daher nicht an. Aber: „Ich könnte 2024 einen konservativen Wahlsieg einfahren.“ 

Sechs Jahre, nachdem die Briten sich mit dem Brexit-Votum einem populistischen englischen Nationalismus-Projekt verschrieben haben, herrscht politisches Chaos im Vereinigten Königreich. Innerhalb von sieben Wochen wird diese Woche ein dritter Premierminister gekürt. Immer aus der Partei heraus. Die größte Gefahr ist dabei inzwischen der basisdemokratische Prozess: die radikalisierten Parteimitglieder wählen gerne die oder den mit dem waghalsigsten Konzept. 

Statt die Lektion zu lernen, dass Populismus sich eher für kurzfristige Erfolge als für langfristiges Krisenmanagement eignet, hatten die Parteimitglieder noch eines draufgelegt und die disruptive Ultrakonservative Liz Truss gewählt. Sie löste mit einem katastrophal schlecht durchdachten Mini-Budget, in der sie hohe Staatsverschuldung mit nicht-finanzierbaren Steuersenkungen kombinierte, eine derart negative Reaktion auf den Finanzmärkten aus, dass sie nach 44 Tagen zurücktreten musste. 

Mit dem nächsten fliegenden Wechsel kommt jetzt Rishi Sunak an die Macht. Der ehemalige Finanzminister soll die Tories bis zu den nächsten Wahlen bringen, die spätestens im Jänner 2025 stattfinden. Damit stößt der englische Nationalpopulismus zum ersten Mal in sechs Jahren auf Widerstand seitens der konservativen Restvernunft. Denn Johnsons Kandidatur hätte die Tory-Partei gespalten. Ob Sunak den Damm halten kann, ist aber völlig unklar. Er ist Brexitanhänger und wird kaum zugeben, dass der Austritt aus der EU, aus Zollunion und Binnenmarkt mitten in Covidpandemie, Ukrainekrieg und Energiekostenexplosion noch viel schädlicher ist als gedacht. 

Nach sechs Jahren Brexitprozess sieht die bittere Wahrheit so aus: 2016 hatte die britische Wirtschaft 90 Prozent der Größe der deutschen Wirtschaft. Heute sind davon nur noch unter 70 Prozent geblieben. So beziffert das kein Geringerer als Mark Carney, der ehemalige Chef der Bank of England. Britannien ist auf dem Weg, der kranke Mann Europas zu werden. Das Torychaos ist inzwischen nicht nur so groß, dass Salatköpfe manchmal länger frisch bleiben als Premierministerinnen. 

Seit Liz Truss‘ ultragefährlicher Finanzintervention hat die „Financial Times“ ausgerechnet, dass im Vereinigten Königreich fortan ein „Moron Risk Premium“ gezahlt werden muss: Eine Deppen-Risiko-Prämie, die Britinnen und Briten jetzt auf längere Sicht berappen müssen, um Geld zu borgen, „weil ihre Anführer nur ein paar Sandwiches weit von einer Tea Party entfernt sind“....

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