Todestag der Trussonomics
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Ein sicheres Zeichen für eine politische Krise ist es in London immer dann, wenn nicht einmal die BBC Zeit hat, Videostatements von Regierungsmitgliedern elegant zu schneiden, bevor sie auf Sendung gehen. Am Montagvormittag ging das Statement des neuen Schatzkanzlers Jeremy Hunt in der Rohfassung in die Nachrichtenschleife.
Wenn schon nicht die Form, so war doch der Inhalt klipp und klar: Fast alle Steuermaßnahmen, die von der britischen Premierministerin Liz Truss gerade noch als Wunderwaffe für die britische Wirtschaft präsentiert worden waren, hat Hunt jetzt wieder gestrichen. Auch die staatlichen Zuschüsse für gestiegene Energierechnungen stellt Hunt ab April in Frage, weil sie ohne soziale Staffelung nicht finanzierbar seien. „Wir haben noch weitere schwierige Entscheidungen zu treffen, wenn es zu Steuern und Ausgaben kommt“, warnte Hunt das Land. „Am wichtigsten ist derzeit aber eine Sache: Stabilität.“
In der Tat. Deshalb applaudiert eine gedemütigte und geschwächte Regierungschefin nun einem Schatzkanzler, der das Gegenteil ihres eigenen Wirtschaftsprogramms durchsetzt. Aus Liz Truss’ Schlachtruf „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ wird nun Hunts Stabilisierungsplan: „Wachstum, das auf Stabilität beruht“. Die Steuererleichterungen für Superreiche sind bereits gekippt, auch die Unternehmenssteuer wird nicht gesenkt. Die geplante Senkung der Einkommensteuer wird zumindest eingefroren.
Hunt bemüht sich, mit kalmierenden Worten den Finanzmarkt zu beruhigen. Das dürfte erst einmal funktioniert haben. Das Pfund stieg am Montag morgen gegenüber dem Euro, weil Investoren gewisse Hoffnung auf den pragmatischen neuen Schatzkanzler setzen. Truss’ Ansatz gilt nach nur 40 Tagen im Amt als gescheitert.
Zur Erinnerung: Am 23. September hatte Hunts Vorgänger Kwasi Kwarteng ein Minibudget vorgestellt, das zur veritablen Katastrophe für die Regierung Truss wurde. Er kündigte Steuersenkungen für Betuchte an, die aber auf der Schuldenseite nicht gedeckt waren. Das Pfund fiel, die Kosten für staatliche Schulden stiegen. Kreditinstitute mussten versprochene Kreditraten, die sich nicht mehr finanzieren ließen, zurückziehen. Für tausende Kunden zerplatzte der Traum von einem Eigenheim wie eine Seifenblase. Die Bank of England musste eingreifen und britische Staatsanleihen aufkaufen, um das Pfund vor dem freien Fall zu bewahren. Die Inflation liegt derzeit bei knapp 10 Prozent.
Ob der moderate Konservative Jeremy Hunt aber als Schatzkanzler eine langfristig stabilisierende Wirkung haben wird, bleibt unklar. Noch vor einer Woche hätte niemand ein Pfund auf Hunts Rückkehr in die erste Reihe der britischen Politik gewettet. Im Sommer hatte sich der ehemalige Gesundheitsminister um die Nachfolge von Boris Johnson bemüht, war aber schnell daran gescheitert, dass sich die Tories zunehmend nach rechts orientieren – als neue Partei- und Regierungschefin wollten sie lieber Liz Truss, die sich als Ultra-Hardlinerin präsentierte.
Ihr Ansatz gilt nach nur 40 Tagen im Amt als gescheitert. „Heute ist der Todestag der Trussonomics“, sage eine BBC-Kommentatorin über das Ende des Wirtschaftsprogramms von Liz Truss. Doch solange sie in Downing Street im Chefsessel sitzt, kann auch der pragmatische Schatzkanzler nur eine bedingte Kurskorrektur vornehmen. Sich mitten in der größten Wirtschaftskrise auf nichts anderes als Wachstum zu konzentrieren, fand sogar US-Präsident Joe Biden am Wochenende öffentlich verwerflich. Dass ein Staatschef eine Kollegin so harsch kritisiert, ist ungewöhnlich. Zu ihren unsozialen Steuerplänen sagte er: „Ich war nicht der Einzige, der dies für einen Fehler hielt.“
Bisher ist es nicht möglich, eine Parteichefin innerhalb ihres ersten Jahres abzusetzen
Inzwischen hat sich der Unmut innerhalb der Tory-Partei allerdings zu einer veritablen Meuterei ausgewachsen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das 1922-Komitee der konservativen Hinterbänkler. Seit hundert Jahren überwacht dieses Gremium aus 18 Abgeordneten die Misstrauensvoten gegen konservative Parteichefs. Am Wochenende soll ein steter Strom von E-Mails, die Liz Truss zum Rücktritt auffordern, bei Graham Brady, dem Vorsitzenden des 1922-Komitees eingetroffen sein.
Dabei ist es nach den bisher geltenden Regeln gar nicht möglich, eine Parteichefin innerhalb ihres ersten Jahres abzusetzen. Doch viele verzweifelte Tories wollen die Regeln ändern, weil sich Liz Truss’ Wahlkampfslogan „In Liz we Truss“ in das genaue Gegenteil verkehrt hat. Erst muss noch ein neues Präsidium gewählt werden, dann könnte die Meuterei ihren Lauf nehmen.
Den Tory-Rebellen aber könnten die kühleren Köpfe der eigenen Partei in den Arm fallen. Denn eine der logischen Optionen eines erneuten Führungswechsels sind Neuwahlen. Auf Boris Johnson, der 2019 eine große Mehrheit von 80 Mandaten gebracht hatte, folgte diesen September Liz Truss, die nur von 81.000 Parteimitgliedern zur Partei- und Regierungschefin gewählt wurde. Ein weiterer nicht demokratisch legitimierter Akt mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise wird kaum mehr durchzusetzen sein.
Und wer gewinnt, ist auch klar: Die konservative Partei regiert seit 2010, ein Wechsel zur Labour Party wäre aus demokratiepolitischen Gründen an sich normal. Labour führt aber dank der Tory-Krisen mit 26 Prozentpunkten vor den Konservativen. Die Niederlage kommt also sehr wahrscheinlich so oder so. Egal, ob die Tories mit Truss oder einer neuen Führungshoffnung zu den Urnen rufen.
Die Parteirebellen hoffen auf einen Rücktritt
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Ein sicheres Zeichen für eine politische Krise ist es in London immer dann, wenn nicht einmal die BBC Zeit hat, Videostatements von Regierungsmitgliedern elegant zu schneiden, bevor sie auf Sendung gehen. Am Montagvormittag ging das Statement des neuen Schatzkanzlers Jeremy Hunt in der Rohfassung in die Nachrichtenschleife.
Wenn schon nicht die Form, so war doch der Inhalt klipp und klar: Fast alle Steuermaßnahmen, die von der britischen Premierministerin Liz Truss gerade noch als Wunderwaffe für die britische Wirtschaft präsentiert worden waren, hat Hunt jetzt wieder gestrichen. Auch die staatlichen Zuschüsse für gestiegene Energierechnungen stellt Hunt ab April in Frage, weil sie ohne soziale Staffelung nicht finanzierbar seien. „Wir haben noch weitere schwierige Entscheidungen zu treffen, wenn es zu Steuern und Ausgaben kommt“, warnte Hunt das Land. „Am wichtigsten ist derzeit aber eine Sache: Stabilität.“
In der Tat. Deshalb applaudiert eine gedemütigte und geschwächte Regierungschefin nun einem Schatzkanzler, der das Gegenteil ihres eigenen Wirtschaftsprogramms durchsetzt. Aus Liz Truss’ Schlachtruf „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ wird nun Hunts Stabilisierungsplan: „Wachstum, das auf Stabilität beruht“. Die Steuererleichterungen für Superreiche sind bereits gekippt, auch die Unternehmenssteuer wird nicht gesenkt. Die geplante Senkung der Einkommensteuer wird zumindest eingefroren.
Hunt bemüht sich, mit kalmierenden Worten den Finanzmarkt zu beruhigen. Das dürfte erst einmal funktioniert haben. Das Pfund stieg am Montag morgen gegenüber dem Euro, weil Investoren gewisse Hoffnung auf den pragmatischen neuen Schatzkanzler setzen. Truss’ Ansatz gilt nach nur 40 Tagen im Amt als gescheitert.
Zur Erinnerung: Am 23. September hatte Hunts Vorgänger Kwasi Kwarteng ein Minibudget vorgestellt, das zur veritablen Katastrophe für die Regierung Truss wurde. Er kündigte Steuersenkungen für Betuchte an, die aber auf der Schuldenseite nicht gedeckt waren. Das Pfund fiel, die Kosten für staatliche Schulden stiegen. Kreditinstitute mussten versprochene Kreditraten, die sich nicht mehr finanzieren ließen, zurückziehen. Für tausende Kunden zerplatzte der Traum von einem Eigenheim wie eine Seifenblase. Die Bank of England musste eingreifen und britische Staatsanleihen aufkaufen, um das Pfund vor dem freien Fall zu bewahren. Die Inflation liegt derzeit bei knapp 10 Prozent.
Ob der moderate Konservative Jeremy Hunt aber als Schatzkanzler eine langfristig stabilisierende Wirkung haben wird, bleibt unklar. Noch vor einer Woche hätte niemand ein Pfund auf Hunts Rückkehr in die erste Reihe der britischen Politik gewettet. Im Sommer hatte sich der ehemalige Gesundheitsminister um die Nachfolge von Boris Johnson bemüht, war aber schnell daran gescheitert, dass sich die Tories zunehmend nach rechts orientieren – als neue Partei- und Regierungschefin wollten sie lieber Liz Truss, die sich als Ultra-Hardlinerin präsentierte.
Ihr Ansatz gilt nach nur 40 Tagen im Amt als gescheitert. „Heute ist der Todestag der Trussonomics“, sage eine BBC-Kommentatorin über das Ende des Wirtschaftsprogramms von Liz Truss. Doch solange sie in Downing Street im Chefsessel sitzt, kann auch der pragmatische Schatzkanzler nur eine bedingte Kurskorrektur vornehmen. Sich mitten in der größten Wirtschaftskrise auf nichts anderes als Wachstum zu konzentrieren, fand sogar US-Präsident Joe Biden am Wochenende öffentlich verwerflich. Dass ein Staatschef eine Kollegin so harsch kritisiert, ist ungewöhnlich. Zu ihren unsozialen Steuerplänen sagte er: „Ich war nicht der Einzige, der dies für einen Fehler hielt.“
Bisher ist es nicht möglich, eine Parteichefin innerhalb ihres ersten Jahres abzusetzen
Inzwischen hat sich der Unmut innerhalb der Tory-Partei allerdings zu einer veritablen Meuterei ausgewachsen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das 1922-Komitee der konservativen Hinterbänkler. Seit hundert Jahren überwacht dieses Gremium aus 18 Abgeordneten die Misstrauensvoten gegen konservative Parteichefs. Am Wochenende soll ein steter Strom von E-Mails, die Liz Truss zum Rücktritt auffordern, bei Graham Brady, dem Vorsitzenden des 1922-Komitees eingetroffen sein.
Dabei ist es nach den bisher geltenden Regeln gar nicht möglich, eine Parteichefin innerhalb ihres ersten Jahres abzusetzen. Doch viele verzweifelte Tories wollen die Regeln ändern, weil sich Liz Truss’ Wahlkampfslogan „In Liz we Truss“ in das genaue Gegenteil verkehrt hat. Erst muss noch ein neues Präsidium gewählt werden, dann könnte die Meuterei ihren Lauf nehmen.
Den Tory-Rebellen aber könnten die kühleren Köpfe der eigenen Partei in den Arm fallen. Denn eine der logischen Optionen eines erneuten Führungswechsels sind Neuwahlen. Auf Boris Johnson, der 2019 eine große Mehrheit von 80 Mandaten gebracht hatte, folgte diesen September Liz Truss, die nur von 81.000 Parteimitgliedern zur Partei- und Regierungschefin gewählt wurde. Ein weiterer nicht demokratisch legitimierter Akt mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise wird kaum mehr durchzusetzen sein.
Und wer gewinnt, ist auch klar: Die konservative Partei regiert seit 2010, ein Wechsel zur Labour Party wäre aus demokratiepolitischen Gründen an sich normal. Labour führt aber dank der Tory-Krisen mit 26 Prozentpunkten vor den Konservativen. Die Niederlage kommt also sehr wahrscheinlich so oder so. Egal, ob die Tories mit Truss oder einer neuen Führungshoffnung zu den Urnen rufen.
Die Parteirebellen hoffen auf einen Rücktritt
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