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Bringt der Brexit die Bomben zurück?

Bringt der Brexit die Bomben zurück?

https://www.cicero.de/aussenpolitik/Nordirland-Brexit-Theresa-May-Arlene-Foster-IRA

Foto: Tessa Szyszkowitz

Das Friedensabkommen in Nordirland war nur möglich, weil alle beteiligten Länder Teil der EU waren. Nun könnte der Brexit den lange schwelenden Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten wieder eskalieren lassen.

Damian McGenity springt von seinem Traktor und hält sich nicht lange mit Formalitäten auf: „Wenn wir nicht in der Zollunion bleiben, dann wird es hier wieder eine harte Grenze geben“, sagt der Bauer. Er zeigt über die grünen Hügel seiner Heimat. McGenity ist Katholik, Nordire und deklarierter Brexitgegner. Kein Wunder, verläuft doch ein paar Meter südlich seines Kuhstalls die Grenze zur Republik Irland: „Ich kann mich noch gut an die ständigen Anschläge an den Grenzübergängen erinnern. Ich will nicht, dass meine Kinder so aufwachsen müssen.“

Die neue Außengrenze der EU

Es gibt 275 Straßen zwischen Irland und Nordirland. Das sind 275 Verbindungen zwischen den Nordiren und den Südiren. Oder 275 Schlagbäume an der Außengrenze der EU. Es wird auf das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen ankommen, ob die grüne Grenze die Iren zusammenbringt oder trennt. Für das Grenzgebiet ist entscheidend, was in diesen Tagen von nordirischen Politikern in Belfast, der britischen Regierung in London, der irischen Regierung in Dublin und den EU-Staatschefs in Brüssel beschlossen wird.

Beim Europäischen Gipfel am 15. Dezember in Brüssel soll Phase Eins der Brexit-Verhandlungen abgeschlossen werden, damit Großbritannien ab Januar mit der EU in Phase Zwei über die künftigen Handelsbeziehungen reden kann. Die Zeit drängt, denn das Vereinigte Königreich will im März 2019 die Europäische Union verlassen. Dazu gehört auch Nordirland, das von Irland durch die einzige Landgrenze zu EU-Gebiet getrennt ist.

Von den drei Themen, die nach Wunsch der EU Phase Eins ausmachen, sind zwei bereits fast geklärt: Wie viel Geld Großbritannien zur Abgeltung für bereits eingegangene Verpflichtungen in Brüssel auf den Tisch legen muss; und welche Rechte den drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien nach dem Brexit garantiert werden. Beim dritten Punkt aber ist eine Einigung weit entfernt: Wie soll Nordirlands Grenze zu Irland nach dem Brexit aussehen?

Der lange Weg zum Frieden

Irland und Großbritannien wollen auch in Zukunft eine offene Grenze. Das hängt mit der gewalttätigen Geschichte der Region zusammen. Nur mit äußerster Mühe konnte der Bürgerkrieg zwischen den mit Großbritannien loyalen Protestanten – den Unionisten – und den katholischen Iren – den Republikanern – vor fast zwanzig Jahren beigelegt werden.

Seit der Unabhängigkeit Irlands 1922 hatte der Konflikt zwischen den beiden national-religiösen Gruppen geschwelt. Zwischen 1969 und 1998 war er durch die Anschläge paramilitärischer Organisationen – die katholische IRA und die protestantische UVF – zu einem blutigen Machtkampf geworden. 1998 legten alle Beteiligten die Waffen nieder. Unter dem britischen Premierminister Tony Blair schlossen sie das Belfaster Karfreitagsabkommen. Nur eine nordirische Partei verweigerte die Unterschrift: Die „Democratic Unionist Party“ (DUP). Den Unionisten war es zuwider, dass die Nordiren einen speziellen Status bekamen. Denn: „Es ist das Geburtsrecht aller Nordiren, sich als Iren oder Briten oder beides zu identifizieren”, heißt es im Karfreitagsabkommen, und weiter „…und demnach beide Pässe zu beanspruchen.“

Der Frieden wurde erst dadurch möglich, weil beide Teile des Landes Mitglied in der EU waren. Die Grenzposten zwischen Norden und Süden wurden abgeschafft, die Wachtürme umgelegt. Es gab für die „Irish Republican Army“ (IRA) keinen Grund mehr, unter die Bahnbrücken Bomben zu legen.

Der irische Albtraum

Das aber könnte sich jetzt durch den Brexit ändern. „Die britische Politklasse benimmt sich völlig rücksichtslos“, wundert sich der irische Publizist Fintan O’Toole in Dublin. Leichtfertig setzten die Briten mit ihrem EU-Austritt den fragilen Frieden in Nordirland aufs Spiel: „Das Belfaster Abkommen ist die größte diplomatische Errungenschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Gerade das englische Establishment war ganz wichtiger und zentraler Teil des Friedensprozesses. Jetzt wirkt es so, als hätten sie einfach vergessen, welche Anstrengungen es gekostet hat, diesen gewalttätigen Konflikt beizulegen.“

Nicht nur deshalb ist der Brexit der Briten für die Iren ein Albtraum. Die irische Insel liegt westlich des Vereinigten Königreichs jetzt schon recht isoliert vom europäischen Kontinent. Wenn Großbritannien aus der EU austritt, muss der nördliche Teil der Insel mit austreten – obwohl eine Mehrheit der Nordiren für den Verbleib in der EU gestimmt hat. Irland fürchtet ob des EU-Austritts des immens wichtigen Handelspartners Großbritannien großen wirtschaftlichen Schaden. Wenn obendrein noch eine richtige EU-Außengrenze den nördlichen Inselteil abtrennte, wären die politischen Folgen desaströs.

Deshalb hat der irische Premierminister Leo Varadkar die EU von Anfang an darauf eingeschworen, die Nordirland-Frage ganz zu Beginn der Brexit-Verhandlungen zu klären. Im Zentrum steht dabei der Wunsch Dublins, dass Nordirland seinen speziellen Status beibehält. Das heißt: Nordirland soll in der EU-Zollunion und im EU-Binnenmarkt bleiben, damit es keine Zollbeamten an der Grenze geben muss. Denn ein Grenzposten könnte neue Gewalt provozieren. Ein einziger Anschlag zöge bereits die Notwendigkeit von Grenzsoldaten zum Schutz der Beamten nach sich.

Lage immer noch höchst fragil

Heute grasen entlang der grünen Grenze in aller Ruhe irische Kühe. Der einzig erkennbare Unterschied auf der Autobahn zwischen Süden und Norden ist, dass die Iren die Geschwindigkeitsbegrenzung in Kilometern und die Nordiren sie in Meilen angeben. Kaum vorzustellen, dass die Spirale der Gewalt sich hier wieder drehen könnte.

Doch ein Besuch in Belfast reicht, um die Fragilität der Lage zu begreifen. Im protestantischen Bezirk Shankill leuchten frisch gemalte Wandfresken in ehrenvoller Erinnerung an die loyalistischen Kämpfer, die nebenan im katholischen Falls Road schlicht als Mörder gelten. Umgekehrt sind die unzähligen Attentate der IRA bei den britannientreuen Protestanten unvergessen. Viele Taxifahrer weigern sich bis heute, in den gegnerischen Stadtteil zu fahren. Obwohl die Tore in der sogenannten „Friedensmauer“ heute offen bleiben. Zu Zeiten der „Troubles“ von 1969 bis 1998 wurden die Durchfahrstraßen in der Trennwand von Freitagabend bis Sonntag einfach geschlossen, damit die vom Feierabend-Bier aufgeputschten Horden nicht aufeinander losgehen konnten.

May angewiesen auf die Unionisten

Auch in der politischen Klasse ist der Konflikt noch vorhanden. Seit einem Jahr gibt es keine Regierung in Stormont, dem Regionalparlament Nordirlands. Die Konsensregierung zwischen der katholischen Sinn Féin und der protestantischen DUP brach im Januar zusammen, die Fronten sind verhärtet. Die bisherige Regierungschefin und DUP-Chefin Arlene Foster hat bisher keine neue Regierung zustandegebracht. Dafür spielt sie neuerdings im britischen Parlament in Westminster eine wichtige Rolle. Seit Theresa May bei vorgezogenen britischen Parlamentswahlen im Juni 2017 die absolute Mehrheit der Tory-Partei verspielt hat, sind Fosters zehn erzreaktionäre DUP-Abgeordnete in Westminster das Zünglein an der Waage geworden.

Ohne die Unterstützung der DUP könnte Theresa May politisch nicht überleben. Arlene Foster war es nun auch, die Theresa May am Montag dieser Woche aus Brüssel zurückpfiff. Die DUP will nicht zustimmen, dass Nordirland einen Sonderstatus bekommt und sich „weiterhin an die EU-Regeln anpasst“, wie britische und EU-Verhandler geplant hatten. Die einzige Chance, die Grenze offenzulassen, bestünde aber, wenn Nordirland mindestens de facto Teil der Zollunion bleiben kann.

Die schwache britische Regierungschefin versucht jetzt, einen Kompromiss mit der widerspenstigen Nordirin zu finden. Brexit-Minister David Davis deutete am Dienstag an, die fortgesetzte Anpassung an das EU-Regelwerk könnte am Ende für das gesamte Vereinigte Königreich gelten. Somit könnte die Nordirland-Krise das ganze Land sogar noch Richtung „sanften“ Brexit treiben. Doch Arlene Foster hält standhaft an ihrem Widerstand gegen eine nordirische Sonderregelung fest. Offenbar auch für den Preis, dass der teuer erkämpfte Frieden in Nordirland gefährdet ist.

Beim Zigarettenkauf erschossen

Diese historische Blindheit erbost Seán McAuley. Der nordirische Bauer in vierter Generation kann sich noch gut daran erinnern, dass sein Onkel, als er Zigaretten kaufen ging, erschossen wurde. Einfach weil er Katholik war, erzählt McAuley: „Wir können uns nicht in die dunklen Zeiten der Troubles zurückbewegen.“ William Taylor sitzt neben ihm in der Bar des Dunsilly Hotels, eine halbe Autostunde nördlich von Belfast, und nickt zustimmend. Taylor ist Protestant. Die beiden haben sich in der Aktivistengruppe „Farmers for Action“ angefreundet. „Der Brexit ist eine Katastrophe für uns alle“, sagt Taylor.

Zehntausende Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, vor allem in der Landwirtschaft, die von der protektionistischen EU-Agrarpolitik profitiert habe. „Wenn wir den Brexit schon nicht verhindern können, müssen wir uns zumindest für eine möglichst enge Beziehung zur EU einsetzen. Sonst steht der Friede in Nordirland auf dem Spiel.“

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Damian McGenity: „Ich kann mich noch gut an die ständigen Anschläge an den Grenzübergängen erinnern. Ich will nicht, dass meine Kinder so aufwachsen müssen.“

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© 2018 Tessa Szyszkowitz